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Zufälle 1 - warum es mich gibt ...

Bereits der Beginn meiner Existenz seit 1953
ist das Ergebnis von vielen Zufällen seit 1936
 

Als meine Eltern 1936 heiraten wollten, mussten sie den seit 1933[1] erlassenen und durch die Nürnberger Gesetze 1935[2] für alle deutschen Bürger geforderten Ariernachweis beibringen.

 

Der Nachweis war seit 1935 für alle Deutschen zwingend aber für meinen Vater mit Familiennamen David[3] war er von besonderer Bedeutung - im Auschwitzer Totenbuch nimmt der Name DAVID viele Seiten ein.

 

Er musste nachweisen, dass seine Eltern und Großeltern "nichtjüdisch" sondern arisch  waren.

 

Die Zeiten der Besatzung durch fremde Mächte in der Uckermark lag einige Zeit zurück und preußische Akuratesse hatte in Amtsstuben Einzug gehalten.
Es gelang ihm, wie auch meiner Mutter, den Nachweis beizubringen[4]. So konnten sie im Mai 1936 im uckermärkischen Schönfeld heiraten.

 

Mein Vater arbeitete als "Schweizer" (früher Begriff für "Melker") in Dörfern rund um den Uckersee.

 

Meine Mutter, die bis zur Heirat bei "einer Herrschaft in Stellung"[5] war, hatte im Jahr der Olympischen Spiele und des Baubeginns des KZ Sachsenhausen meinen ältesten Bruder im September 1936 geboren.

 

Als mein zweiter Bruder 1939 geboren wurde, hatte Hitler bereits den 2. Weltkrieg begonnen. Wenige Monate nach der Geburt meines dritten Bruder war die Wehrmacht 1941 in die Sowjetunion einmarschiert.

 

Der Beruf des Melkers, stellte meinen Vater wegen der Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung und der Wehrmacht u.k. (unabkömmlich) und er musste zunächst nicht in den Krieg ziehen.

 

1944 wurde das für ihn aufgehoben und er setzte bis Kriegsende in Norwegen oberhalb des nördlichen Polarkreises Leben und Gesundheit aufs Spiel.

 

Die Mutter lebte mit meinen Brüdern in einem kleinen Dorf unweit der Kreisstadt. Sie litt darunter, dass es kein Lebenszeichen von meinem Vater gab.

 

Im Frühjahr 1945 erreichte die Rote Armee die Uckermark und zerstörte 84% der Stadt Prenzlau.

 

Meine Mutter musste mit meinen Brüdern und den anderen Dorfbewohnern auf "Treck" in nordwestliche Richtung ziehen.

 

Angloamerikanische Flieger warfen Bomben auf den langen Zug von mehreren hundert Menschen mit hochgepackten Pferdefuhrwerken, Handkarren und Kinderwagen. Im Chaos verloren meine Brüder die Mutter aus den Augen.

 

Die traumatisierten Menschen wurden von den Treck-"Führern" weiter voran getrieben. Meiner Mutter, die sich an der Spitze des Zuges befand, erklärten sie, dass die Kinder am Ende sein würden, außerdem wären die Russen schon sehr nahe. Man müsse weiter.

 

Meine Brüder suchten in falscher Richtung nach der Mutter und verloren den Anschluss an den Treck. Der älteste war 8, der zweite nicht einmal 6 und der jüngste gerade 2 Jahre alt.

Der achtjährige sammelte auf dem Boden verstreute Ausweise, das Stammbuch (Familienbuch) und andere Dokumente der Familie in einen Eimer ein und entschied, zurück nach Hause zu laufen.

Den Eimer hängte er an den Lenker eines Roller, auf den er abwechselnd die kleineren stellte.

Die Jungen wurden durch eine Einheit der Sowjetarmee aufgegriffen. Sie brachten sie nach Prenzlau ins Krankenhaus.

Selbst der jüngste erinnerte sich bis ins hohe Alter an die vielen Toten, die im Innenhof des Krankenhauses abgelegt waren - nebeneinander Rotarmisten und SS-Männer.

Kurz vor Schwerin in Mecklenburg holte die Rote Armee den Treck mit meiner Mutter ein und setzte die Menschen zum Bau eines Feldflugplatzes ein.

Es kam zu Übergriffen und Vergewaltigungen. Erst kurz vor ihrem Tod deutete meine Mutter an, dass auch sie davon betroffen war.

 

Meine Mutter war verzweifelt. Von meinem Vater gab es kein Lebenszeichen und nun hatte sie auch noch die Kinder verloren. Sie wollte "ins Wasser gehen" - sich das Leben nehmen.

 

Tränenüberströmt ging sie zu einem See. Dabei wurde sie von einem deutschsprechenden sowjetischen Offizier aufgehalten. Er wollte wissen was sei und sie erzählte, dass sie Mann und Kinder verloren und das Leben für sie keinen Sinn mehr habe.

 

Meine Mutter berichtete später, dass "der Russe" ruhig zugehört und dann gesagt habe: "Du warten - ich suche Kinder...". Sie ging nicht ins Wasser. Die Übergriffe blieben aus...

 

Am 1. Mai 1945 teilte ihr der Offizier mit, dass die Kinder leben und sich in Prenzlau befinden. Er organisierte ihre Rückfahrt nach Prenzlau.

 

Meine Mutter und meine Brüder waren wieder zusammen. Von meinem Vater gab es lange kein Lebenszeichen.

 

Mit einem der letzten Schiffe kam er in Kiel an. Bei der Überfahrt von Norwegen trafen das Schiff mehrere Bomben. Viele Soldaten und Besatzungsmitglieder wurden getötet.

 

Er behauptete später, dass die Kälte im hohen Norden und auch die Bombeneinschläge auf dem Schiff bedrohlich gewesen seien. Gefährlicher aber sei die Zeit in englischer Gefangenschaft gewesen - Tag und Nacht bei jedem Wetter und sogar im Winter unter freiem Himmel - und kaum "was zu fressen".

 

Aber letztendlich waren meine Mutter, mein Vater und meine Brüder wieder zusammen.

 

1953, zwei Tage nach Stalins Tod, wurde ich geboren.

 

- - -

 

[1] "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 07.04.1933 (Paragraph 3)

 

[2] "Reichsbürgergesetz", vom 15.09.1935 (Nürnberger Rassengesetze)

 

[3] als Knabe erschlug er den Philister Goliat, nach dem Tod von König Saul wurde er zum König gesalbt

 

[4] Wikipedia (2015): "Der Nachweis der "arischen" Abstammung erfolgte durch die Vorlage von sieben Geburts- oder Taufurkunden (des Probanden, der Eltern und der vier Großeltern) sowie drei Heiratsurkunden (der Eltern und Großeltern). Diese mussten von Pastoren, Standesbeamten oder Archivaren offiziell beglaubigt worden sein."

 

[5] besser gestellte nahmen Dienstpersonal "in Stellung", meine Mutter war Dienstmädchen in der Küche

 
© Günter David, Zernsdorf, 06.10.2015

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meine Brüder nach dem Krieg (1945 o. 1946)

... ihre Augen hatten schreckliches gesehen ...

die Brüder um etwa 1943

die ersten Familenmitglieder waren bereits im Krieg "gefallen" - unser Vater war noch u.k.

Diese 3 Fotos hat mein Vater
1944 aufnehmen lassen

 

am nächsten Tag zog er in den Krieg

viele Verwandete waren inzwischen

vermisst oder "gefallen"

die Gesichter meiner Eltern und Brüder

sagen alles

der Große (7 Jahre) konnte noch nicht wissen, was er ein Jahr später leisten musste...

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