Die Lehrer sind schuld!
Sie sind schuld an Adolf Hitler, an Stalinismus, an DDR-Diktatur, eigentlich an allem Unsinn, den von ihnen unterrichtete Schüler im Erwachsenenleben fabrizieren.
Hängt sie auf, gebt ihnen Gift oder zumindest denunziert sie, wenn sie eine eigene Meinung haben und diese vertreten.
Es ist nicht neu. Bei gesellschaftlichen Umbrüchen wurde nicht nur in Deutschland der größte Teil der Lehrerschaft bezichtigt, an den Abartigkeiten und Verbrechen des vorhergehenden Regimes schuld zu sein. Häufig wurde die Berufsgruppe ausgetauscht; zuletzt ist das 1989/90 in Ostdeutschland teilweise geschehen.
Dass manche Lehrer sogar physisch beseitigt wurden, lässt sich in der Geschichte bis zu Sokrates zurückverfolgen. Sokrates lehrte auf den Plätzen des antiken Athens die Söhne (und Töchter!) der Oberschicht und wurde von jenen dafür mehr schlecht als recht bezahlt.
Sokrates wurde vorgeworfen, dass er Unrecht tue, weil er die „Götter, die die Polis[1] anerkennt, nicht anerkennt“[2]. Außerdem verderbe er die jungen Menschen. Tatsächlich waren unter Sokrates Schülern einige, die unrühmlich bei den beiden oligarchischen Putschen am Ende des 5. Jahrhunderts in Erscheinung getreten waren.
Letztendlich wurde er durch den gereichten Schierlingsbecher hingerichtet. Eine sich ihm bietende Fluchtmöglichkeit schlug er aus Respekt vor den Athener Gesetzen aus.
Sokrates, wie auch andere die Kinder und Jugendliche unterwiesen, arbeitete im Auftrag der jeweiligen Gesellschaft; zumindest wurde und wird das Handeln akzeptiert, solange sie sich im Konsens mit den geltenden Werten befinden.
So ist auch heute das Pädagogikstudium ausgerichtet. Entsprechend werden sie in Deutschland auf das Grundgesetz verpflichtend eingestellt und angemessen bezahlt.
Nun aber tritt eine Partei in verschiedenen Bundesländern mit einem von ihnen erklärten „Neutralitätsgebotes“ für Lehrer*innen auf den Plan, Artikel, 7 Absatz 1 des Grundgesetzes, „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“, zu unterwandern.
Begründet wird das mit Artikel 3, Artikel 20 und Artikel 21 des Grundgesetzes.
Auf der Internetplattform der brandenburgischen AfD wird versucht, unter Bezugnahme auf die brandenburgische Landesverfassung und das brandenburgische Schulgesetz, rechtliche Begründungen für die Einrichtung des Internetportals „Neutrale Schulen in Brandenburg“, auf der Verstöße gegen das „Neutralitätsgebot“ für Lehrer gemeldet werden können, zu liefern.
Auch der „Beutelsbacher Konsens“ wird bemüht und von der AfD gleich erweitert interpretiert:
„Mit der Äußerung persönlicher Meinungen zu bestimmten Parteien sollten Lehrer im Unterricht … grundsätzlich zurückhaltend sein. … Plumpes „Bashing“ gegen eine spezifische Partei ist – auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit des Lehrers – im Unterricht nicht erlaubt.“
Was ist „plumpes Bashing“?
Darf eine Lehrerin, ein Lehrer sagen,
dass die AfD derzeit kein schlüssiges Rentenkonzept oder keine griffigen Vorstellung zur Energiepolitik und zum Internetausbau hat,
dass sie den Klimawandel leugnet und Quotenregelungen ablehnt,
dass die AfD die Außen- und Sicherheitspolitik ausschließlich an deutschen Interessen ausrichten will, dass die AfD die Strafmündigkeit auf 12 Jahre herabsetzen möchte und der Erwerb eines Waffenscheines erleichtert werden soll?
Darf eine Lehrerin, ein Lehrer sagen:
dass der AfD-Parteivorsitzende die Zeitspanne des Nationalsozialismus als „Fliegenschiss“ bezeichnet,
dass sich die AfD in ihrer Familienpolitik am Bild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern orientiert, und die AfD-Parteivorsitzende dieses Bild nicht lebt?
Ist das Bahsing?
Darf eine Lehrerin, ein Lehrer sagen,
dass die Causa Maaßen und die Haltung des Bundesinnenministers zumindest eigenartig sind,
dass die „Nichtvermittelbarkeit“ als Problem von den handelnden Personen angesehen wird und nicht der Sachverhalt an sich,
dass verschiedene Parteien die „Reichen“ nicht besteuern wollen und
dass sie gemeinsame Versicherungen für ALLE nicht wollen und weiter festhalten an eigenständigen Versorgungssystemen für Ärzte, Rechtsanwälte u.a. Berufsgruppen?
Alles Bashing?
Nein, ist es nicht!
Aber die AfD stellt sich über den Artikel 7, Absatz 1 des Grundgesetzes, indem sie sich als „Aufsicht“ für das Schulwesen über den Staat sieht?
Riecht das nicht schon nach Infrage stellen des Artikel 21, Absatz 2, des Grundgesetzes?
Die Einrichtung solcher „Denunzianten-Meldeplattformen“ soll Lehrer einschüchtern!
Das ist verwerflich insbesondere hinsichtlich der den Pädagogen anvertrauten Mädchen und Jungen.
Lehrer würden so austauschbare gesichtslose „Anonymus“ – man könnte Monitore mit virtuellen „Lehrer*innen“ in die Klassenräume stellen.
Was kann die AfD mit den „Verstoß-Meldungen“ anstellen?
Nichts anderes als das, was Schüler und Eltern sowieso schon können: das Gespräch mit den betreffenden Lehrern, den Schulleitungen und ggf. den Schulbehörden bzw. dem zuständigen Ministerium führen.
Schüler können überdies sich an Vertrauenslehrer, Schulkonferenz und auch an ihre Schülervertretungen wenden.
Offensichtlich sind andere Themen für die AfD in der Auseinandersetzung mit den anderen Parteien nicht spektakulär genug und man wendet sich ohne nur einen Ansatz von Skrupel dem sensibelsten Bereich unserer Gesellschaft zu:
den Kindern, Jugendlichen und denen, die diesen helfen wollen, ihren Weg ins Leben zu finden.
Das ist schändlich!
Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Sie müssen geschützt vor jeglichem Missbrauch sein – auch vor politischem Missbrauch!
Sie brauchen geschützte Räume, in denen sie sich ausprobieren, Fehler machen und korrigieren können. Dazu zählt auch das Klassenzimmer.
Lehrer*innen müssen die Möglichkeit behalten, auf Schüler*innen differenziert reagieren zu können. Dazu zählt auch, dass Lehrer*in eine unverwechselbare auch politische Individualität zeigen darf. Dann ist Lehrer*in für die Schüler*innen erkennbar.
Auch Sport- und Geschichtslehrer Bernd Höcke war so für seine Schüler*innen erkennbar, wenngleich erst heute einige seiner damaligen Äußerungen als Lehrer bewertbar wurden – wie ein ehemaliger Schüler gegenüber Reportern – ohne Höcke zu diffamieren – berichtet hat[3].
Warten wir also auf durch die AfD die gesammelten Meldungen, „natürlich anonymisiert“ veröffentlicht werden sollen.
Schulleitungen, Schulkonferenzen, Elternbeiräte und Schulämter werden sich zu betreffenden Fällen zurückhalten und keine konkreten Auskünfte geben. Das weiß auch die AfD schon jetzt.
So reagierten übrigens auch betreffende Leitungen, Konferenzen, Beiräte und Ämter auf Anfragen zum Lehrer Höcke – aus rechtlichen Gründen. Auch das weiß die AfD.
Warum dann also der Aufruf zum Denunzieren von Lehrer*innen?
Stellt man das in den Kontext bisherigen Agierens der AfD, dann geht es um das Schüren von Angst, Verunsicherung und letztendlich um Schuldzuweisungen – nun sogar könnten Lehrer schuldig werden, wenn sie etwas laut gegen die AfD sagen.
Hängt sie auf, gebt ihnen Gift oder zumindest denunziert sie, wenn sie eine eigene Meinung haben und diese vertreten.
Wie war das noch gleich? Wie viel Lehrer fehlen bundesweit in den nächsten Jahren?
Januar 2016
[1] Polis – im weitesten Sinn die Bürgergemeinde des antiken Athens
[2] Vgl. „Sokrates der Prozess“, Professor Trampebach