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verzockt
- nach dem Brexit

Die Motive Charles De Gaulles, durch die „Politik des leeren Stuhl“ den Beitritt Großbritanniens zur EU zu verzögern, bleiben im Nebel.

Ebenso, was Margit Thatcher im Köcher hatte, um Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich für den Beitritt 1973 auszuhandeln.

Wirkliche Gründe wird man wohl nie erfahren[1]. Es war die Zeit des kalten Krieges und NATO-Mitglied und Atommacht Großbritannien unverzichtbar im Mächtepoker.

Das war gestern. Heute nun haben sich alle verzockt.

Demokratische Länder haben eine repräsentative Demokratie.

Das heißt: Politiker bemühen sich um die Stimmen der Menschen und jene, die die Mehrzahl bei Wahlen erreichen, sind autorisiert, für alle Menschen Politik zu machen.

Dafür verfügen sie über die bekannten Instrumente – und auch die weniger bekannten.

Es muss Gründe geben, wenn man Entscheidungsmacht – um die man sich beworben hatte – zurück in die Hände der Wähler gibt.

Cameron wollte mit Britannien nicht wirklich aus der EU heraus aber mit der Abstimmung seine Zustimmungswerte bei den Menschen erhöhen.

Dieses kleine Ziel hat er über die Entscheidungsmacht gestellt, die er durch Wahlen erhalten hatte, und ist auf voller Linie gescheitert.

Populisten sind auch nur Menschen, die an die Macht wollen. Im Vorfeld von Wahlen oder Volksabstimmungen treten sie mit schmissigen aktionsbetonten Auftritten, meist seriöse Argumentationen umgehend und mit einfachen Antworten Emotionen schürend vor den Souverän.

Der Souverän ist nicht dumm, nimmt aber wahr, dass er nicht alles wissen und auf nicht alles vertrauen darf, außer seinem Gefühl.

Die Wahlergebnisse nach Altersgruppen [Klick auf nebenstehende Grafik] machen deutlich, dass die unter 60jährigen weniger nach den populistischen Vorstellungen „we are who we are“[2] und lieber „we are europa“ leben wollen.

Die Welt hat sich geändert[3] und sicher ist, dass es ein Zurück zum Empire nicht geben wird.

Alle Bereiche sind betroffen[3] – und nur nebenbei sei erinnert, dass die EU ein wichtiger friedenserhaltender Faktor in Europa war und ist.

Nun also liegt die Grenze Europas zwischen Ärmelkanal und Irland. Wie es mit Nordirland und Schottland weitergehen wird, bleibt abzuwarten.

Man kann versuchen, England und Wales einfach auszublenden, aber wird es nicht gelingen.

Die zwei Verhandlungsjahre werden noch überraschendes bringen – und Wahlen gibt es auch noch[4].

Es bleibt zu befürchten, dass der Kompromiss das alleinige Prinzip und „raus“ eben nicht „raus“ ist.

Trotz Sonderregelungen für Großbritannien hatten die Briten in der Vergangenheit nie die Nettozahlungen getätigt, wie diese vorgesehen waren[5] – und haben trotzdem die Möglichkeiten der EU für sich voll genutzt.

Wäre man mit den Britten so konsequent wie mit Island, Irland, Portugal oder zuletzt mit Griechenland umgegangen… sie wären heute schon längst aus der raus.

Woran liegt diese mehr als unbefriedigende Situation?

An den Briten, die so abgestimmt haben wie sie abgestimmt haben? An David Cameron, der aus der EU noch mehr für Großbritannien heraus holen wollte? An Boris Johnson und Nigel Farage, die tief in die Mottenkiste des patriotischen Populismus gegriffen haben[6]?

Nein, die Ursache liegt in der EU selbst.

Ihre Undurchschaubarkeit[7], ihre Befassung mit Vereinheitlichungen, die regionale Identitäten ignorieren, ihre Entscheidungsunfähigkeit[8] in wichtigen Fragen, der Unwille der Mitgliedstaaten mögliche Kompetenzen zur Zentrale nach Brüssel[9] abzugeben, sind nur einige Dinge, die die Menschen nerven.

Und nicht nur in Großbritannien. Meint jemand, dass solch eine Abstimmung in Deutschland wesentlich anders ausgehen würde?

Nun brauchen alle Geduld und das Festhalten am sinnvollen Ziel eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das irgendwann auch Großbritannien wieder einziehen wird.

Das Prinzip der Freizügigkeit für den Einzelnen in der EU ist ein großer Erfolg. Dieses wird von den vielen, die dieses nicht nutzen, als vorgeschoben oder als permanente Verarsche betrachtet:

Das habe bisher nur der großen Ökonomie genutzt. Für den Einzelnen gäbe es nicht so viele Verbesserungen.

Welche Vorteile der EU-Markt wirklich hat, wird sich zeigen[10].

Ob man künftig ein Visum für den Besuch des Vereinigten Königreiches benötigt, ist das kleinere Übel.

Spannend bleibt, ob und wie sich die EU ändern wird und auch die Mitgliedsstaaten.

Die Wahl zum nächsten Deutschen Bundestag, der Wahlkampf, die Argumente der Protagonisten, der Stil – schauen wir mal…

© Günter David - 24.06.2016

[1] es würde uns auch beunruhigen (frei nach dem deutschen Innenminister)

[2] die Bayern sagen wohl „mia san mia“

[3] 5 £ ins Phrasenschwein

[4] die Bundestagswahlen 2017 werden wieder alle möglichen Versprechungen begleiten und auch nur den Bauch treffen

[5] das ist auch so eine Information, die im Zuge der Abstimmung öffentlicher gemacht wurde – wen betrifft das noch...

[6] die Herren rudern nun (20 Stunden nach der Abstimmung) schon schamlos zurück

[7] dazu zählt auch, dass die EU-Kommission CETA und TTIP ohne die nationalen Parlamente durchdrücken will!

[8] man tut so, als ob die EU etwas entscheiden könne – wie war das noch mit der Aufnahme von Flüchtlingen?

[9] eben nicht die Entscheidung zu CETA und TTIP!

[10] aber ehrlich auf diesen „Feldversuch“ hätte man verzichten können…

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