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Keine Pyramide für Fatima
Der Text entstand im Jahr 2000.

 

Ich fand ihn beim Nachdenken über die Diskussionen zum Islam und Islamismus im Jahr 2006 wieder und suchte ihn erneut heraus, als in Ägypten die großen Demonstrationen gegen das Mubarak-Regime begannen.
 

TEXT


01. August 2000

Die Überraschung ist gelungen. Um 10:20 Uhr bringt die Stewardess ein Glas Sekt. Vor 25 Jahren gaben meine Frau und ich uns das „Ja-Wort“.

Über den Alpen stoßen wir an und ich stelle lachend fest, dass wir bestimmt schon so faltig wie das Gebirge unter uns aussehen. Meine Frau schaut nur kurz aus dem Fenster - Flugangst.

Uns stecken noch 10 Tage Spanien und vor allem 27 Stunden Busfahrt in den Knochen. Wir hatten wieder als Reiseleiter mit über siebzig Jugendlichen die Costa Brava bereist.
Wir sind froh gegen 15:00 Uhr in Sham el Sheik auf dem Sinai zu landen.

48 Grad Celsius - uns stockt der Atem. Ein klimatisierter Bus bringt uns die letzten 100 Kilometer in unseren Urlaubsort Dahab am Golf von Akabar.

Glück gehabt mit der Hotelauswahl – unserem Reisebüro sei Dank.

Die Freundlichkeit des Hotelpersonals, der Ägypter ist umwerfend. Jeder Wunsch wird von den Augen abgelesen. Manchmal erfährt man Aufmerksamkeit, selbst dann, wenn man sie gar nicht wünscht.

 

Das Zimmerpersonal - übrigens alles Männer - stellt uns Blumen außer der Reihe ins Zimmer, formt unsere Handtücher zur Herzchen und Schwänen, selbst die Schmutzwäsche.

Wir sind zu ihnen freundlich und empören uns über arrogante Europäer.

Am ersten Abend sitzen wir bei Gamal in seinem kleinen Parfümgeschäft und trinken Tee. Wir reden über Ägypten, Deutschland und die verschieden Kulturen. Gamal hatte mehre Jahre in Deutschland gelebt und betreibt nun ein kleines Geschäft im Hotel.

Wir genießen die ersten Tage und faulenzen. Direkt am Strand unter Palmenschirmen sehen wir links über den Golf hinüber nach Saudi-Arabien, rechts liegen die rostbraunen Gebirgszüge des Sinai. Direkt vor uns jagen 50 Surfer über das Meer.

Ständig geht ein stürmischer Wind und macht die Hitze am Strand erträglich. Weder meine Frau noch ich haben Lust auf Action. Wir baden im badewannenwarmen Wasser und sind "oben auf' - wegen des starken Salzgehaltes.


Wir lesen gemeinsam ein Buch über einen jüdischen Jungen während des 2. Weltkrieges und reden darüber.


Wir schlafen viel und genießen die Ruhe.

Wir wissen, dass sich unweit von uns das Katharienkloster in der Nähe des Mosesberg befindet, wo nach biblischer Auskunft Moses vor vielen Jahren die 10 Gebote vom Gottvater diktiert bekommen haben soll. Aber wir fahren nicht hin.

Das erste Gebot lautet: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir".
Ich mache mir heute keine Gedanken mehr über diesen absoluten Befehl zur Unterwerfung...

Andere Gebote - wie "du sollst nicht stehlen" oder "du sollst nicht töten" finde ich schon von allgemein gültigerer Art.

An einem Nachmittag lassen wir uns auf der offenen Pritsche eines „Taxis“ in den Ort Dahab fahren. Wichtigste Instrumente an diesem Fahrzeug sind Gas, Bremse und Hupe. Die anderen Aggregate werden nicht benötigt und funktionieren demzufolge nicht.

Der Ort selbst ist auf zahlende Touristen eingestellt. Überall die freundliche Frage in allen möglichen Sprachen, woher man komme. Meine Antwort "Von den Fidschi-Inseln" wird ungläubig aber freundlich quittiert.

Wir haben eine zweitägige Bustour nach Kairo gebucht. Um 01.00 Nachts geht es mit einem kleinen Bus durch die Wüste nach Kairo. Durchgerüttelt, müde und verstaubt treffen wir um 10:00 Uhr auf dem Tahrir-Platz am Ägyptischen Museum ein.

Der uns dort erwartende Begleiter Sammy hatte die Deutsche Sprache am Goethe-Institut in Kairo gelernt. Er war nie außerhalb Ägyptens gewesen und erzählt uns begeistert und im hervorragenden Deutsch von der Geschichte der Hochkultur der Pharaonen.

Große Schätze - so die des Tutanchamun - besichtigen wir und sind froh, endlich gegen 13:00 Uhr in einer kleinen Taverne zu sitzen.
Noch freuen wir uns, dass Sammy alle Leute der Restaurants, der Museen und Basare persönlich kennt und für uns immer tolle Preise für Essen, Getränke und Souvenirs aushandelt.

Es geht zum letzten verbliebenen Weltwunder der Antike, den Pyramiden von Gizeh. Wir sind wieder ganz interessiert.
Gigantische Ausmaße. Wir fühlen uns klein. Ein Grab für einen Menschen, für einen bedeutenden Menschen der damaligen Zeit, für den Herrscher, den Pharao. Tausende von einfachen Menschen haben es gebaut.

Am Fuß der Pyramiden besuchen wir den Phsings - den liegenden Löwen mit Menschengesicht.

Sammy erzählt, dass das fehlende Nasenteil in einem Museum in London liegt. Ich frage mich, was es da zu suchen hat und ob es nicht besser hier her zum Löwen gehören würde.

Dabei erinnere ich, dass in Berlin ebenfalls viele Kunstschätze lagern, die hier her nach Ägypten gehören. Wie zum Beispiel die berühmte Statue der Nofretete; in Kairo steht nur eine Kopie...

Inzwischen hege ich Zweifel an der Nasen-Geschichte.

Endlich geht es in unser Kairoer Übernachtungshotel, wir essen, reden wenig, verarbeiten die vielen Eindrücke und schlafen.

Nach dem Frühstück geht es nach Memphis, quer durch die Millionenstadt Kairo.

 

Schätzungen zur Einwohnerzahl schwanken zwischen 20 und 50 Millionen.
 

Wir sehen berühmte Marmorstatuen, die ich noch aus Schulbüchern kenne.

 

Besonders beeindruckt uns ein großer Steinblock, vor dem man Steuern erlassen bekommen kann. Meine Frau und ich wollen wir unserem Steuerberater eine Reise hierher vorschlagen.

Auf dem Weg zur Sakarapyramide weist Sammy auf die am Rand stehenden Sehenswürdigkeiten.

Uns fallen immer wieder mehrstöckige Gebäude auf, an denen das Wort "Scole" – „Schule“ geschrieben steht.

Sammy erklärt, dass dies Teppichschulen seien, in denen Kinder armer Bauern eine Schulausbildung erhalten.

Außerdem eigenen sich kleine Kinderhände sehr gut für das Knüpfen von Seidenteppichen.


Uns wird unbehaglich.

Die Sakara ist eine Stufenpyramide und gilt als das älteste der Menschheit bekannte Bauwerk. Ich nehme einen kleinen Stein von der Sakara mit nach Hause und fühle mich an die Nase des Phsings in London erinnert.

Wir betreten einen Grabraum und spüren den Atem alter Kulturen. Draußen bei 40 Grad bieten uns Esel- und Kameltreiber die Dienste ihrer Tiere an, indem sie "Taxi, Taxi, Hoppi, Hoppi" rufen.

Wir sind auf dem Weg zurück nach Kairo - wieder sehen wir viele Teppichschulen.

 

Ziel ist die berühmte Marmormoschee des Mohamed Ali - nicht die des großen Boxers, sondern des großen mittelalterlichen islamischen Fürsten.

Wir wollen zur Altstadt, zum Basar.

Auf den Weg dahin schlägt Sammy vor, an einer Teppichschule zu halten.

 

Mit gemischten Gefühlen betreten wir ein Gebäude, das besser als andere Schulen aussieht.

 

In einem großen Raum - vielleicht 15 mal 15 Meter - stehen 10 Webstühle.
 

Davor - langsam gewöhnen sich meine Augen an das Dämmerlicht - sitzen Kinder und knüpfen große Teppiche.
 

Ich traue meinen Augen nicht.

 

Einige der Kinder sind nicht älter als 6 Jahre.

 

Auf unsere englisch gestellte Frage wie alt sie seien, verschwindet ihr lächeln und sie bedeuten uns, dass sie uns nicht verstehen.

Es folgt ein ängstlicher Blick zu einem der Aufseher.

Es sind wohl die „Lehrer“ der Teppichschule. Jeder von ihnen hält einen langen Stock in der Hand.

Mir wird schlecht.

 

Einer der Aufseher erklärt wie Knoten geknüpft werden und zeigt auf das 6 jährige Mädchen.

Er hat wohl unsere Frage nach dem Alter verstanden und lügt, sie sei zwölf.

 

Auf meine Frage, wie lange am Tag die Kinder arbeiten müssen - wir sind uns schon sicher, dass er lügt - sagt er: „3 Stunden“.

Die Kinder lächeln die Touristen an und fordern sie auf, sich zu ihnen zu setzen. Sie knüpfen Fäden und wir sollen es auch tun.

 

Meine Frau hat sich neben einen etwa 13jährigen Jungen gesetzt und zwei Knoten geschlungen.

Wie sie aufsteht hält er lächelnd die Hand auf. Sie gibt ihm nichts. Wir hatten bemerkt, dass sofort die Aufseher da sind und den verängstigten Kindern das Geld abnehmen und im leisen aber scharfen Ton die Weiterarbeit befehlen.

Eine Touristin kann von den Aufsehern unbeobachtet ein etwa zehnjähriges Kind in ein Gespräch verwickeln.

Sie bringt in Erfahrung, dass alle Kinder täglich über 12 Stunden arbeiten müssen.
 

Ich höre noch, wie ein Aufseher vorschlägt, nun ins Lager zu gehen, wo man sich Teppiche zum Kauf aussuchen könne.

Ich gehe wütend in den Bus. Meine Frau folgt mir mit zusammengepressten Lippen.

 

Ich kann lange nicht sprechen. Keiner hat etwas gekauft.
 

Plötzlich entlädt sich Empörung der Reisegruppe über Sammy, der uns nicht versteht.


Irgendwie sitzen für die nächsten Stunden die Kinder mit uns im Bus. Sie sitzen zwischen uns und Sammy.

Beim nächsten Halt frage ich Sammy, ob er nicht Lust hätte, nach Deutschland zu kommen. Er bejaht begeistert.

 

Ich frage ihn weiter, was er als bekennender Muslim machen würde, wenn ich in Deutschland mit ihm in einen Schweinestall gehen und ihn zwingen würde, Schweinefleisch zu essen.

Sein Lächeln erstarrt: „Ich würde mich oder dich umbringen!“

 

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Das 6jährige Mädchen in der Teppichschule heißt Fatima.

 

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Unsere Söhne holen uns vom Flughafen ab und fragen:

 

„Na, wie war es?“

 

© Günter David, 2000

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