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... eigentlich ist der Tod eines ehemaligen Verantwortungsträgers der DDR im Alter von 86 Jahren nicht sehr bedeutsam - er wurde es aber durch die Reaktion unseres Bundespräsidenten.

 

Joachim Gauck, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, zu Günter Schabowski:


"Führungsfigur ... meiner Unterdrücker" - vgl. Pressemitteilung des Bundespräsidenten vom 01.11.2015.

 

Darf das der Präsident sagen? Ich denke grundsätzlich ja - wenn es stimmt...

 

Die Biografie spricht Joachim Gaucks davon frei, eine "negative Figur im Unterdrückungssytem" der DDR gewesen zu sein.

 

Doch in welchem Maße Joachim Gauck unterdrückt war, ist an Hand seiner Biografie schwer zu beurteilen.

 

Interessant in diesem Zusammenhang bleibt eine juristische Auseinandersetzung zwischen Peter-Michael Diestel, letzter DDR-Innenminister im Kabinett de Maizière, die mit einer "gütlichen Einigung" vor dem Oberlandesgericht Rostock beendet wurde.

 

Pikant: Nach den Unterlagen der Verhandlung vor dem Landgericht Rostock (AZ 3 O 245/00) darf über Gauck rechtskräftig behauptet werden, er sei "Begünstigter der Stasi" gewesen.

 

Ein Streit über den Grad der Unterdrückung, die der einzelne Mensch in der DDR erlitten hat, ist unanständig. Jeder empfindet Unterdrückung anders.

 

Aber Menschen wie Pfarrer Rainer Eppelmann oder der Nachfolger Gaucks als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, der damalige Oppositionelle Roland Jahn waren in der DDR inhaftiert - Roland Jahn wurde letztendlich aus der DDR ausgewiesen.

 

Pfarrer Oskar Brüsewitz ertrug die Unterdrückung nicht mehr - seine Selbstverbrennung am 18.08.1976 in Zeitz verstand er als eine politische Aktion. Er sagte dies dem Chefarzt im Bezirkskrankenhaus Halle kurz vor seinem Tod am 22.08.1976.

 

Um es deutlich auszusprechen: ich mache Joachim Gauck nicht den Vorwurf, dass er nicht im Gefängnis gewesen war oder gar schlimmeres erlitten hat.

 

Auch halte ich viele seiner Statements als Staatsoberhaupt für beachtens- und nachdenkenswert.

 

Wenn man sich die Mühe macht und das Schreiben an die Witwe Schabowskis komplett liest, dann ist dies auch eine Würdigung Günter Schabowskis als "das einzige Mitglied des SED-Führungszirkels, das zu radikaler Umkehr und auch zur Anerkennung eigener Schuld bereit und fähig war."

 

Ob aber die Formulierung "Führungsfigur ... meiner Unterdrücker" als Einleitung in einem Kondolenzschreiben an die Witwe gut platziert ist, darf jeder selbst entscheiden.

 

© Günter David, 20.10.2015

Günter Schabowski

 

Geboren:   4. Januar 1929
Gestorben: 1. November 2015

 

FOCUS-onlinie über Schabowski:

 

  • Als Mitglied des Politbüros der SED hatte er am 9. November 1989 für eine Weltsensation gesorgt:
    Er verkündete auf einer Pressekonferenz die Öffnung der Berliner Mauer
    (
    siehe Video).

  • Schabowski, der dann 1990 aus der SED-Nachfolgepartei PDS ausgeschlossen wurde, bekannte sich im Gegensatz zu vielen anderen DDR-Politgrößen zu Mitverantwortung und moralischer Schuld.
    Die DDR sei ein untaugliches System gewesen und an sich selbst zugrunde gegangen, bekannte er.

Der Bundespräsident
zum Tod eines Politbüromitgliedes

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